Herausforderungen in Zeiten der Unsicherheit: Trends in der Kopfstellentechnik

Die Ausbreitung des Coronavirus hat sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auf den Kopf gestellt. Wir müssen uns an unerwartete Situationen anpassen, unsere Zukunftspläne und unsere derzeitigen Arbeitsweisen neu überdenken. Das hat auch Auswirkungen auf den Fernsehkonsum und damit auf die Art und Weise, wie TV-Signale verteilt werden. Die Anforderungen an die bestehende Kopfstellentechnik und -installationen ändern sich.

Dietmar Rauch

Group Product Manager


Die verschobene SD-Abschaltung

Am 14. Juli 2020 trafen die Intendanten der ARD die Entscheidung, die für Anfang 2021 geplante Abschaltung ausgewählter SD-Satellitenkanäle auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Die Begründung: Es gibt immer noch eine erhebliche Zahl an Haushalten in der deutschen Bevölkerung, zuletzt sechs Millionen Haushalte[1], die keinen HD-fähigen Fernseher oder Receiver besitzen.

Während bei früheren Abschaltungen die betroffenen Haushalte in großen Marketingkampagnen zur Investition in neue Geräte aufgefordert wurden, sah man eine solche Botschaft in Zeiten der Corona-Pandemie nicht als angemessen an. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit dient das Medium zwar immer noch zur Unterhaltung, aber seine Rolle als zuverlässige Informationsquelle tritt deutlich hervor, sodass die ARD die reinen SD-Haushalte nicht von diesem wichtigen Medium abschneiden wollte.

Das Tempo des Wandels

In nur wenigen Monaten hat sich das gesellschaftliche Leben stark geändert, aber die Verschiebung der SD-Abschaltung und die Wiederentdeckung des traditionellen Fernsehens durch die jüngere Generation deuten darauf hin, dass solche gesellschaftlichen Veränderungen nicht immer nur vorwärtsgerichtet sind. Daher gilt es nicht nur neue Technologien anzunehmen, sondern auch den Status quo zu beachten.

Gerade wegen des hohen Tempos des Wandels darf man nicht davon ausgehen, dass jeder mitgenommen wird. Das belegt die Abschaltung der analogen TV-Versorgung. Obwohl die erste Analogabschaltung in Europa 2003 in Berlin stattfand[2], konnten die Landesmedienanstalten erst 2019 endgültig verkünden, dass „die analoge TV-Versorgung nun zur Geschichte der Fernsehübertragung in Deutschland gehört“[3]. Unterdessen nimmt die Zahl der „Cord Cutter“ (Nutzer, die Fernsehinhalte ausschließlich über das Internet beziehen) zwar zu, aber sie ist mit nur 650.000 Haushalten noch überschaubar[4].

Auf die Gegenwart und die Zukunft vorbereitet

Gleichzeitig steigt die Zahlungsbereitschaft des Zuschauers. Pay-TV nimmt in Deutschland exponentiell zu[5]. Die Verbreitung von TV Angeboten über das Internet (Over the Top, OTT) wächst ebenfalls, hat in Europa aber noch nicht die Dominanz, mit der einige Experten gerechnet haben: Mit nur einer Millionen Haushalten in Europa ist OTT immer noch eher eine Ergänzung zu den bestehenden TV-Verbreitungswegen.

Nicht zuletzt hängt die OTT-Verbreitung von der Breitbandverfügbarkeit ab. Inzwischen haben 87,9 Prozent der deutschen Haushalte Zugang zu 30 Mbit/s oder mehr. Die Bundesregierung will bis 2025 in der Gigabit-Gesellschaft angekommen sein.[6] So werden die Voraussetzung für eine Zunahme an OTT-Angeboten geschaffen.

Vorbereitung: Faktoren, die man berücksichtigen muss

Wie wirkt sich dies alles auf die Entscheidungsfindung aus, wenn es um die nächste Anschaffung oder Aufrüstung einer Kopfstelle geht? Wer umfassend vorbereitet sein will, muss nicht nur Trends wie OTT im Blick haben, sondern auch die gegenwärtige Situation in der TV-Signalverteilung und sogar die Vergangenheit berücksichtigen.

In Abhängigkeit zum Markt muss als Erstes der Formfaktor berücksichtigt werden: Welche Kopfstelle passt am besten zu den spezifischen Anforderungen? Die Auswahl ist groß: von der Mikro-Kopfstelle für kleinste Installationen oder spezielle Anwendungsfälle über kompakte Kopfstellen, die in 19″-Schränke passen und eine feste Ein-/Ausgangskonfiguration haben bis zu modularen Kopfstellen für mehr Flexibilität bei der Auswahl spezifischer Ein- und Ausgangsmodule und professionelle Kopfstellen, die von Netzbetreibern verwendet werden. Heutzutage werden je nach Breitbandverfügbarkeit auch Cloud-basierte Super-Kopfstellen angeboten.

In diesem Beitrag werden Kopfstellen auf lokaler Ebene betrachtet: Installationen, die täglich in Hotels, Wohnhäusern, Krankenhäusern usw. vorgenommenen werden. Dabei müssen mit Blick auf die Kopfstellenausstattung folgende Punkte berücksichtigt werden:

  • Was hereinkommt: Standard in Deutschland ist DVB-S2. Aber wie sieht es mit weiteren Bezugsquellen oder zusätzlichen Inhalten aus, zum Beispiel mit einem Hotel-Infokanal oder einer Webcam-Zuspielung?
  • Was hinausgeht: Welche Geräte verwendet der Endkunden im Netz? QAM-Signale sind in Deutschland am weitesten verbreitet, aber IP kann notwendig sein, insbesondere in Hospitality-Umgebungen, in denen eine Middleware oder ein Kommunikationssystem für Gäste verwendet wird.
  • Verschlüsselte Inhalte: Welche Lizenzierung in Form von CI-Karten und DRM ist erforderlich?
  • Netzwerkgröße: Wenn die Installation Teil eines großen Netzwerks mit mehreren Verstärkern ist, wird eine Kopfstelle mit einem hohen Signal-Rausch-Abstand benötigt.

Wenn ein Kunde beispielsweise für seine Gäste nur Standard-FTA-Dienste in seinen Räumlichkeiten anbieten möchte, ist eine Mikro- oder Kompakt-Kopfstelle am besten geeignet, um signifikante Kosteneinsparungen zu erzielen. Wenn er jedoch sein Unterhaltungsangebot mit Programmen aus anderen Ländern erweitern oder seine Programmliste an verschiedene Zielgruppen anpassen möchte, wird das Thema Skalierbarkeit plötzlich sehr wichtig.

Skalierbarkeit meint, das System mit geringem Aufwand erweitern und anpassen zu können. Mit einem modularen Aufbau können Verteilsysteme bei Bedarf auf die neueste Technik aufgerüstet werden, ohne das Grundsystem verändern zu müssen. Darüber hinaus sind Aktualisierungen für den Endnutzer nicht erkennbar, stören ihn also nicht.

Modulare Kopfstellen bieten also die größte Flexibilität und werden in der Regel mit im laufenden Betrieb austauschbaren Ein- und Ausgangsmodulen installiert. Die Arbeit eines Installateurs wird ebenso wie die damit verbundenen Kosten reduziert, wenn im Servicefall ein defektes Modul einfach durch ein neues ausgetauscht werden kann. Auch der Aufwand für den Anwender verringert sich, indem das PID-Management dafür sorgt, dass keine Neuprogrammierung der Fernseher erforderlich ist und es demzufolge nicht mehr notwendig ist, dass ein Techniker einen ganzen Tag lang in jedem Hotelzimmer den Fernseher neu einstellen muss.

Modulare Kopfstellen und Skalierbarkeit

Mit modularen Kopfstationen kann ein TV-Verteilsystem durch die Kombination mehrerer Ein- und Ausgangsmodule flexibel erweitert und angepasst werden. Aber nicht nur die Zahl der Module können nach oben oder unten skaliert werden, sondern auch die Kopfstelleneinheiten an sich, um etwa eine Installation mit mehreren Kopfstellen zu erhalten. Wenn zum Beispiel eine Kopfstellenbasiseinheit 24 HF Kanäle unterstützt und drei Basiseinheiten kombiniert werden können, entspricht dies etwa 280 HD- oder 570 SD-Programmen, was selbst den anspruchsvollsten internationalen Gast zufriedenstellen sollte.

Ein weiterer Vorteil ist die Skalierbarkeit von Service und Support. Die Fernzugriffsfunktionen modularer Kopfstellen sind in der Regel sehr fortschrittlich und anwenderfreundlich. So lassen sich sämtliche Installationen vom Büro aus kontrollieren – was gerade in der heutigen Zeit immer nützlicher wird, weil der Zugang zu den Räumlichkeiten des Kunden zum Beispiel eingeschränkt ist.

Modulare Kopfstellen bieten zudem unbegrenzte Möglichkeiten, um Dienste für jede Ausgangsmodulation zu multiplexen. Das bedeutet, dass unabhängig vom Signaleingang die erforderlichen Ausgangsmodule so konfiguriert werden können, dass sie eine breite Palette von Fernsehgeräten jeden Alters oder auch verschiedene Empfangsgeräte wie Mobiltelefone oder Tablets unterstützen.

Abb. Pool Technologie

IP Pool

Bei einer solch variabel konfigurierbaren Hardware ist es sinnvoll, auch bei der Software und den Modulationsmöglichkeiten auf Flexibilität zu achten. Einige Kopfstellen bieten „IP-Pool“-Techniken an, die eine besonders effektive Methode für das TV-Programmmanagement darstellen. Von jedem beliebigen Eingang werden die Signalströme verarbeitet und im selben „Pool“ gesammelt Die TV-Programme können anschließend über ein oder mehrere Ausgangsmodule, zum Beispiel QAM und IPTV, verteilt werden und mittels der LCN Funktion (Logical Channel Number) in einer TV-Kanalliste verwaltet werden. Diese TV-Kanalliste kann bei Bedarf auch über Fernzugriff geändert werden.

Des Weiteren sollte bei Bedarf die Option bestehen, ein PAL-Modul für ältere Geräte zu integrieren. So lässt sich zum Beispiel in einem Pflegeheim mit vielen älteren, analogen Fernsehgeräten jeder HD-Eingang in analoge PAL-Kanäle umwandeln, vorzugsweise mit einer Lösung, die auch das AC3-Audiosignal in einen Standard-PAL-Ausgang transformiert.

OTT berücksichtigen

Abb. Kombination Kopfstelle und EoC

Auch wenn eine Kopfstelle aktuelle und ältere TV-Signalverteilungsmethoden unterstützt, stellt sich immer noch die Frage, wie sich am besten OTT in den Mix integriert lässt. Unbedingte Voraussetzung ist, dass allen Bewohnern eines Hauses ausreichend Bandbreite zur Verfügung steht. Wenn der Glasfaserausbau wie geplant fortgesetzt wird, erfordern FTTB- oder FTTC-Netze eine Inhouse-Infrastruktur, die den Endnutzern die hohen Übertragungsgeschwindigkeiten auch zur Verfügung stellt.

Dies zu gewährleisten, ist nicht immer ganz einfach, wenn zum Beispiel das Gebäude älter ist und keine CAT-Kabel verlegt wurden. In solchen Fällen kann man ein Gigabit-Netz über Koaxialkabel aufbauen, die in den meisten Gebäuden verlaufen. Die Nutzung der bestehenden Verkabelung ist für sehr viele Eigentümer das ausschlaggebende Kriterium, da jede Installation neuer Kabel zum einen eine Belastung für die Bewohner darstellt und zum anderen die Beantragung neuer Brandschutzgenehmigungen nach sich zieht.

Die Verwendung der bestehenden Koax-Verkabelung ist als „Ethernet über Koax“ (Ethernet over Coax, EoC) bekannt. Von den verschiedenen heute verwendeten EoC-Techniken sind Lösungen zu empfehlen, die auf G.hn aufbauen, denn damit ist ein Gigabit-Durchsatz sowohl im Down- als auch im Upstream möglich. Außerdem wird die Bandbreite pro Endpunkt dynamisch verwaltet, wodurch das System so smart wird, dass es jeden Nutzer anhand der verfügbaren Übertragungsgeschwindigkeit die optimale Performance für OTT-Dienste anbieten kann.

Kopfstellen- und EoC-Lösungen können ohne Probleme in derselben Systemumgebung betrieben werden.

Fazit

Es müssen viele Faktoren berücksichtigt werden, wenn man in neue Kopfstellentechnik oder ein Upgrade investieren will. Dabei gilt, was bislang schon immer galt, was aber in diesem Jahr deutlich ins Blickfeld gerückt ist: Man muss sich auf die am Horizont abzeichnenden Veränderungen vorbereiten, aber darf dabei Menschen, Technologien und Infrastrukturen nicht außer Acht lassen, die dem Tempo des technischen Wandels nicht gewachsen sind.

Genauso wie wir uns im Alltag an neue Situationen anpassen müssen, ist es auch wichtig, die passende Kopfstellenkonfiguration für heute und für die Zukunft zu finden. Um nicht regelmäßig kostspielige Hardware-Upgrades durchführen zu müssen, ist eine entsprechend konfigurierte Kopfstelle als „Kraftwerk“ innerhalb eines Signalverteilsystems unerlässlich: Sie muss für die Zukunft vorbereit sein und gleichzeitig die TV-Signale der Vergangenheit und Gegenwart verarbeiten können.

[1] SES S.A., Astra TV-Monitor 2019, https://de.astra.ses/sites/default/files/2020-04/ASTRA_TV%20Monitor_2019_1.pdf

[2] Wood, David: History of the DVB Project. 2013, S. 5, https://dvb.org/wp-content/uploads/2019/12/History-of-the-DVB-Project.pdf

[3] Digitalisierungsbericht Video 2019, ALM GbR, S. 20

[4] ebd.. S. 24

[5] https://www.vau.net/node/29436/

[6] https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/country-information-germany